Gut, dann versuche ich es mal aufzudröseln...
Ich sehe hier erstmal 2 Handlungsstränge, die eng miteinander verwoben sind.
Die Lehrerin ist ein Fall für sich.... aber wie du schon sagst: das Problem erledigt sich ja in den nächsten 4 Monaten von selbst. Frage ist halt: was kommt nach? Dazu kommt, dass ihre Freundinnen alle in eine andere Schule gehen und für sie trotz Nähe das soziale Umfeld nicht stimmig ist. Das allein ist es schon wert über einen Schulwechsel nachzudenken. Nähe ist nicht alles... Aber noch wichtiger als die Freundinnen finde ich eine zugewandte Lehrerin (oder Lehrer, aber wir wissen ja wie das an Grundschulen ist)). Da würde ich dir raten auch offen zu sein mit der Diagnose deiner Tochter- sie braucht Fachleute um sie herum, die sie stützen, die ihr helfen, ihre Aufmerksamkeit halten zu lernen, die sie liebevoll zurückholen, wenn sie in ihrer Traumwelt steckt.
Hier kommen wir zum zweiten Strang: Die Diagnose Deiner Tochter.
Was Du als "Frischling" hier nicht wissen kannst: Ich bin immer dafür, wenn es Unsicherheiten gibt, dass man dem nachgeht um eben sicher zu sein. Und ich bin ein absoluter Gegner von vorschnellen Modediagnosen! Früher war das AD(h)S, dann Hochbegabung, jetzt ist es Asperger oder die (nicht nachweisbare) Hochsensibilität.. Durch solche früh vermuteten Modediagnosen werden leider auch immer wieder die tatsächlich Betroffenen diskreditiert, die Eltern (noch mehr) verunsichert und auch als Eltern verweigert man irgendwie automatisch mehr. ABER
Was du schreibst, was ich lese sind da ganz deutliche Zeichen unabhängig(!) von der Lehrerin, dass sie einfach wirklich ein Problem hat sich in dieser Welt zu fokussieren. Und daher schützt sie ihre Kinderseele durchs Wegträumen. Ein ADSler kann ja schwer bis garnicht filtern, bei den Sinneswahrnehmungen zählt alles oder garnichts. Alles ist gleich intensiv, gleich laut, gleich grell... und lässt sich nicht kategorisieren. Dazu kam mir gerade ein Bild- ich führe es weiter unten mal auf, möchte aber vorher noch auf was anderes eingehen.
Was ich lese ist auch, dass ihr einen guten Weg gegangen seid. Es gab einen Verdacht, eine Idee, dass ihr geholfen werden muss. Und ihr seid zu einer Praxis gegangen. Vorher wart ihr sicher bei einem KiA, der euch ja nicht ohne Grund weiter vermittelt hat. Einfach so macht niemand eine AD(H)S-Testung. Und die scheint bei Euch sauber gelaufen zu sein.
Der Raven z.b. ist ein standatisierter NonVerbaler Iq-Test- die gehören immer unbedingt dazu, um z.b. auch als Ursache eine unerkannte HB "ausschliessen zu können", es gibt aber noch andere Diagnosen mit ähnlichen Symptomen. Ausserdem lässt sich so auch ein gutes Leistungsprofil sehen, wo man stärkenorientiert bei der begleitenden Therapie die Ansätze aufgreifen kann. Sicher gab es ausser dem Raven auch noch andere Testmomente, auch durch Beobachtung etc. - und ganz wichtig: Dein Arzt schlägt eine kombinierte Therapie vor(!) - das heisst, es geht def. nicht darum, das Kind mit Medis nur ruhig zu stellen, sondern ihr eine möglichst gute Basis zu geben. Wenn jemand schwere Depressionen hat bekommt er oft anfangs therapiebegleitend auch schwere medikamente, damit sich der Patient überhaupt auf die Therapie einlassen kann- je weiter die Person dann stabilisiert ist, desto weiter kann die dosis dann bis zum ausschleichen gesenkt werden. So in etwa kannst du dir das auch vorstellen- oder anders: Jemand mit einem gebrochenen Bein hat auch erstmal Krücken bis er einen Gehgips bekommt bis er keinen Gips mehr braucht bis das Bein komplett verheilt ist...
Ritalin oder ähnliches ist also erstmal eine Akut-Maßnahme um ihr zu helfen "Hier" zu sein, um ihr zu zeigen worauf sie ihre Wahrnehmung lenken soll und ihr zu helfen diese Wahrnehmung zu halten. Jetzt zu dem Bild was ich vorhin hatte:
Stell Dir vor Du stehst vor einem Schwimmbecken voller Bällebadbällen und hast den Auftrag diese nach Farben zu sortieren. Weil Dein Auftraggeber mitgedacht hat und es dir leichter machen wollte, hat er dazu große Säcke in den passenden Farben zu den Bällen hingelegt. Es ist also deutlich: Rot zu rot, blau zu blau, gelb zu gelb, lila zu lila usw.
Weil er weiss, dass Du es schwer hast dich zu konzentrieren hat er deinen arbeitsort in eine reizarme Turnhalle verlegt. Eigentlich ist da nichts ausser wände und 2 Türen, durch die du nicht durchschauen kannst. Nichts lenkt dich also von den Bällen ab.
Was Dein Auftraggeber aber nicht weiss: für dich hat sich ein Filter drüber gelegt, du siehst alles in schwarzweiss, kannst due Nuancen garnicht wirklich unterscheiden, es ist wie ein schleier vor deinen Augen. Und hinter dem Schleier lockt mit zarter Musik das entspannende Traumland, wo du abschalten kannst. Aber du weisst ja, Du hast eine Aufgabe und die willst du auch erledigen, unbedingt! Schliesslich weisst Du auch, dein Auftraggeber macht ganz viel, damit du es leicht haben kannst. Und als er dir 10 Bälle mit unterschiedlichen Farben vorlegte konntest Du Dich ja in dem Moment auch konzentrieren, den Schleier durchbrechen, die Farben erkennen- und hattest alles richtig, auch wenn es sehr anstrengend war... Aber alle durcheinander? Und so viele? Wie kann man das nur schaffen ?!- und das Traumland ruft....
Und der Auftraggeber wird sauer, frustriert, stinkig- weil er hat ja alles getan, dass du beste voraussetzungen hast... und du.... "versagst"... frust.... trauer.... ärger....
Hier kann Ritalin oder ähnliches helfen den Schleier hochzuhalten und die Farben zu sehen, wahrzunehmen, durch den Prozess zu begleiten...
Um es nochmal ganz deutlich zu sagen: Ich bin absolut gegen eine muntere Einnahme von Medikamenten weil jemand mal eine Idee hatte- aber wenn es eine gute Diagnostik gab und der Nutzenfaktor überwiegt- dann vertraue auf das Know-How der Ärzte! Dann versuch dich von der Anti-Stimmung zu lösen, versuch tief in dich hineinzuhorchen und dich frei zu machen von äusserlichen Meinungen- ADS ist weder Versagen des Kindes noch der Eltern, ADS ist ein Teil des Kindes, welches ihr Probleme bereitet.
Und denk dran: auch wenn Ihr JETZT sagt: ok wir probieren es! Dann könnt ihr auch in wenigen Wochen sagen: Nein, das tut ihr nicht gut, das wollen wir nicht weiter!
Genauso könnt ihr JETZT mit dem Arzt besprechen, dass ihr es erstmal anders probieren wollt und ihn befragen, was er für Ideen noch hat. KEINE Entscheidung ist absolutistisch und ihr könnt sie weiterhin im Prozess anpassen, ändern... zum Wohle eurer Tochter!
Ich wünsche Euch allen viel Kraft auf Eurem Weg und auch wenn die Diagnosen andere Namen haben: ich kann nachfühlen wie es ist, wenn Anders-sein zu Problemen führt und wie machtlos, besorgt, ängstlich, frustriert man auch als Eltern sein kann.
Daher auch an Dich: Ihr habt ein tolles Kind und ihr seid tolle Eltern! Kämpft weiter für Euer Kind- aber vergesst dabei nicht, auch Eure Kraftreserven immer wieder aufzufüllen- z.b. durch tolle gemeinsame Familienerlebnisse.