Was tun bei Hyperaktivem kind?

Begonnen von Samuel, 29. Oktober 2009, 20:43:39

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Samuel

Hallo,

ich wohne seit einiger Zeit mit meiner neuen freundin und ihrem Sohn zusammen.
Das Kind ging in Bayern in die erste Klasse und ist nun mit der Mama zu mir nach NRW gezogen.

Hier wurde die erste Klasse wiederholt aber was ich erlebe, ist wirklich schlimm.

Das Kind geht in eine ganztagsschule. In der Betreuung sollten die Kinder eigentlich Hausaufgaben machen aber unser Kind kommt immer ohne gemachte Hausaufgaben nach hause und wir muessen diese dann machen.
Nicht, dass ich faul bin... aber wenn ein kind von 8-16 in der Schule ist und dann noch bis 18 uhr Hausaufgaben machen muss, wo bleibt dann das "kind-sein" ? Ein 10 Stunden Tag ist einem 6 Jahre alten Kind nicht zumutbar.
Es scheint, als wenn die Betreuer der Ganztagsschule ueberfordert sind und wenn ich sehe, wie das Kind Buchstaben schreibt, merke ich, dass das eine Jahr nichts gebracht hat. Das Kind scheint in dem Jahr in Bayern nichts gelernt zu haben oder sich nichts angenommen zu haben.

Ich merke aber beim hausaufgaben machen, dass das Kind irgendwann "dicht" macht und sagt "ich will nicht mehr" und dann kann man diskutieren oder auch Sanktionen verhaengen. Es bringt nichts. Der Junge ist zappelig und stellt auf durchzug. Meine These: Das Kind ist Hyperaktiv, was auch viele Bekannte schon sagen.

Mit dem Kind einkaufen gehen ist undenkbar, so schlecht benimmt er sich, er ist laut und wenn er Langeweile hat, dann faengt er einen Spielkampf mit der Mama an, die dann versucht, das Kind in den Griff zu kriegen, was dem Jungen aber egal ist.

Vom Umfeld erntet man nur Blicke wie "erzieh Dein Kind mal" aber totschlagen ist ja auch kein Weg.

Wo kann man sich informieren und pruefen, ob das Kind hyperaktiv ist? Gibt es hier Leidensgenossen?

Frau Schneider

Hallo!

Ihr müsst mit der Schule sprechen, damit die euch die zuständige Person vom Schulpsychologischen Dienst oder vom MSD (Mobiler Sonderpädagogischer Dienst) nennen, an die ihr euch dann wenden könnt. Eigentlich hat jede Schule so jemanden, der für sie zuständig ist. Oder ihr könnt das auch über's Schulamt rauskriegen.

Ich kenne nun eure Situation nicht wirklich genau genug, aber mit solchen voreiligen Thesen wie "hyperaktives Kind" oder "AD(H)S" wäre ich vorsichtig. Meiner Meinung nach werden solche Diagnosen auch oft voreilig gestellt. Wenn ein Kind sehr zappelig und unaufmerksam ist, kann das auch andere Ursachen haben und für einen 6jährigen Jungen ist das schon echt ein langer Schul(bzw. "Arbeits-")Tag, den er da bewältigen muss. Da kann man schon verstehen, dass er um 18.00 Uhr nicht mehr wirklich konzentriert oder aufnahmefähig genug ist, um Hausaufgaben zu machen und dass er da dicht macht. Evetuell war die Einschulung für ihn auch zu früh und er hätte noch ein Jahr warten sollen.

Wenn du sagst er schreibt so schlecht (wobei da geprüft werden müsste, ob das im Vergleich zu Altersgenossen noch im Rahmen oder schon extrem ist), vielleicht hat er auch irgendeine Teilleistungs- oder Lernschwäche (LRS etc.) und deshalb ist er in der Schule überfordert und er braucht spezielle Förderung.

Allerdings muss man auch sehen - er ist erst 6 Jahre alt und in der 1. Klasse! Alles ist neu in der Schule und dann auch noch der Umzug und nochmal neu eingewöhnen. Das steckt so ein Knirps sicher auch nicht so ohne weiteres weg.

Habt Geduld mit ihm und ihr seid sicherlich nicht schlecht beraten, euch mal bei oben genannten Stellen zu informieren oder beraten zulassen bzw. gewisse Dinge abzuklären (zumal es euch ja Kopfzerbrechen bereitet).

Alles Gute!

Juli@

Frau Schneider hat eigentlich schon alles gesagt!

Vielleicht könnt ihr ja noch Euren Kinderarzt um Rat fragen!

Alles Gute für Euch!
Tristan Alexander *07.02.2001, 53cm, 4040g, 23.16h
Ida Sofie * 29.01.2007, 50cm, 2500g, 4.53h

Samuel

#3
Ich denke auch, dass AD(H)S ein Modeword ist, um schwierige oder ungezogene Kinder zu entschuldigen. Aber dennoch hat er ja schon ein ganzes Jahr Schule gehabt und kann einige Buchstaben nicht. Andere Buchstaben verdreht er, wiederum andere Buchstaben sind total unleserlich.

Dazu kommt, dass die Mama teils sehr gestresst ist und sagt "ok, du willst die Hausaufgaben nicht machen? Dann mache ich sie für Dich" womit dem Kind ja wirklich nicht geholfen ist.

Stellt es euch bildlich vor, wie eine Frau mitte 30 sich an die Hausaufgaben der ersten Klasse setzt und versucht, krakelig zu schreiben, damit die Lehrerhin ja nicht merkt, dass die Aufgaben nicht vom Kind gemacht wurden...  ???

Aber die Kinder verlassen sich nun auch auf Mama, dass sie alles regelt. Wie kann ich hier am besten eingreifen?

Die ganze Situation greift nämlich aktuell auch die Beziehung an, jeden Tag streiten wir uns wegen dem Sohn, weil ich halt anspreche, was falsch läuft

Samuel

Hatten heute ein "zwischen Tür und Angel" Gespräch mit der Klassenlehrerin.

Sie hat uns gesagt, dass sie ein längeres Gespräch mit uns haben will aber uns kurz von Problemen berichtet.

Sie meinte, manchmal fragt sie ihn was (z.B. in Mathe) und er antwortet. Dann hakt sie nach und er ist schon wieder ganz wo anders, guckt aus dem Fenster, schaut die Wand an und ist wieder in seiner eigenen Welt so dass sie ihn anstupsen muss "hallo?!?" und dann schaut er sie wieder an und weiss nicht, was sie von ihm will.

Wie ich auch schon gemerkt habe. Es ist fast unmöglich, seine Aufmerksamkeit für mehr als 30 Sekunden zu gewinnen, außer es geht um Spaß, Spielen, Playstation.


f.j.neffe

Am reifsten von Euch allen scheint noich der Junge zu sein. Wenn man meine Talente so behandeln würde, dann würde ich nicht so zurückhaltend reagieren.
Überleg mal: In der 1.Klasse lernt man rechnen bis 20! Das können manche 4jährigen schon, und zwar weil sie inzteressiert und begeistert davon sind. Aus deinem Bericht lese ich nur Stumpfsinn; wer hat sich je für die Talente des Jungen begeistert? Das würde ich als Ich-kann-Schule-Lehrer schon bei der Begrüßung tun. Ich würde mich lebhaft gerade für die geschwächten und verprellten Talente interessieren, würde voll auf sie setzen und ihnen sofort an einigen Beispielen zeigen, dass sie GUT sind. So bewegt man Talente.
Wenn die Mama die Hausaufgabe ihres Sohnes fälscht, dann ist sie nich nicht einmal soweit wie in ihrer Entwicklung. Die siehst die Unterwürfigkeit und die Angst, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Sie weiß ja selber nich gar nicht, was für FEINE und STARKE Talente sie hat; und sie verrät ihre eigenen Talente, sie steht nicht zu ihnen, sie genießt sie nicht, sie freut sich nicht daran, sie schämt sich noch für so kostbare Begabungen,..... sie ist ein Vorbild, von dem man nicht LEBEN lernen kann. Das spiegelt ihr ihr Kind wider. Und das ist als Lebenshilfe für sie gedacht.
Ähnlich, nur nicht ganz so schlimm muss es mit den Pädagogen bisher gewesen sein. Wenn sie nicht Unterrichtsvollzugsbeamte sind sondern Lehrer im Sinne des Wortes, dann müssten sie selber die höchste Freude am Umgang mit ihren eigenen Talenten haben und mit dieser Freude und ihrem Vorbild alle Kinder mitreißen. Da seh ich aber nix und das heißt, im Grunde sind ihre Lehrer auch noch nicht über das Niveau eines Grundschulkindes hinausgekommen.
Wenn Du also das Problem gelöst haben willst, wirst Du Dich klugerweise selber darum kümmern. Womit kann der Mensch Probleme lösen, wenn nicht mit den Talenten, die er dafür hat?
Wie Du siehst, sind diese Talente bei ALLEN a) zu schwach und b) nicht am Erfolg orientiert. Das ist die große Schwachstelle, die aber Dein Vorteil sein kann, denn: "Wenn ich deine Talente BESSER behandle als Du, dann mögen sie mich und folgen mir lieber als Dir." Dieser IKS-Satz 2008 zeigt Dir, wie Du Einfluss bekommst:
Talente haben Hunger und werden meist von den besitzern schlecht behandelt. Wenn Du ihnen endlich das zu essen gibst, was sie für ihre gute Entwicklung brauchen, dann ändert sich alles. Zuerst einmal werden die Talente im Menschen SATT und SATT wird jeder Mensch ein anderer Mensch. Zweitens vergessen einem Talente nicht, dass man ihnen geholfen hat. Du hast sie dann auf Deiner Seite und sie gewähren Dir stets Einfluss, wenn Du sie achtest und gut behandelst. Da es Seelen- und Geisteskräfte sind, brauchst Du nicht einmal mit ihnen reden; sie nehmen es geistig auf, wenn Du etwas Gutes für sie übrig hast. Das hat zwei große Vorteile: Ausgestrahlte Gedanken können nicht so wie Worte zurückgewiesen werden und zweitens wirken Strahlen viel tiefer als Worte.
Ich weiß, dass dies alles etwas ungewohnt klingt, aber es funktioniert ganz logisch und zuverlässig. Du kannst es ja ausprobieren. Natürlich kann ich nicht in ein paar Zeilen soviel reinschreiben wie in zwei Stunden IKS-Klräung besprochen werden kann. Aber die Grundweichenstellung sollte Euren Zug schon mal auf ein neues Gleis bringen: die Hinwendigung zu den Talenten aller und ein neuer Umgang damit. Ich wünsche guten Erfolg.
Franz Josef Neffe

oceanic

Hallo Samuel,

ich finde Hr. Neffe (der zwar für hiesige Forumsgepflogenheiten etwas ungewöhnlich textet) spricht eine wesentliche Sache an: stigmatisiert nicht das Kind. Versucht den Fokus auf das Kind und seine positiven Eigenschaften zu richten, urteilt nicht vorschnell.
Ein Umzug, Schulwechsel, neue Paarbeziehung der Mutter..das ist schon Einiges was der Lütte da wegstecken muss.
Möglicherweise ist er eher "Symptomträger" einer aktuell etwas verdrehten Situation?
Wenn ihr was unternehmen wollt, dann bitte euch mit einbeziehen. Setzt nicht das Augenmerk darauf das Kind zum "Funktionieren" zu bringen.
Im Übrigen hoffe ich dass Redewendungen wie "Totschlagen ist ja auch kein Weg" auch nicht nur zum Spass unter eurem Dach fallen  :-X

oceanic

sanna

Hallo Samuel,

ich bin Lehrerin und Schulpsychologin (allerdings arbeite ich mit etwas älteren Kindern) und finde, du hast hier schon sehr viele Hinweise erhalten.

Wenn zu mir jemand in die Beratung kommt, der mir sagt "mein Kind ist hyperaktiv" (siehe dein Threadtitel), frage ich auch erstmal nach, woher die Diagnose kommt. Bei euch hat sie kein Kinder- und Jugendpsychiater gestellt, also ein Arzt, der das zwingend tun muss, sondern ihr vermutet etwas in der Richtung. Damit, dass du aber das Kind schon als hyperaktiv bezeichnest, schiebst du es unbewusst in eine Ecke.

Es gibt 1000 Gründe, warum sich der Kleine so verhält, wie er sich verhält. Am plausibelsten finde ich auch die These, dass die Veränderung seines gesamten Umfeld massiv zu seinem Verhalten beiträgt. Aber natürlich wäre Hyperaktivität auch möglich, aber m.E. nicht unbedingt eine der ersten Hypothesen, die ich abklären würde. Die Welt eine 6-jährigen veränder sich komplett, neue Schule, neues Umfeld etc. Seine alte Welt ist quasi zusammengebrochen. Dass er sich da nicht unbedingt angepasst verhält, ist doch klar. Gebt ihm Zeit, versucht ihn zu verstehen und verlangt nicht, dass er sofort funktioniert. Sprecht mit Lehrern und Erziehern, wie man ihm die Eingewöhnung erleichtern kann, und sprecht mit ihm, was er sich wünscht.

Und nochwas: Ein richtig hyperaktives Kind kann sich in der Regel auch beim Playstationspiel nicht wirklich konzentrieren...

Alles Gute.