Ist es eine Rechenschwäche?

Begonnen von Anne, 21. Januar 2015, 14:59:15

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Anne

Hallo,

vielleicht kennt mich ja noch die ein oder andere, bis vor einem Jahr war ich hier unter demselben Namen aktiv. :-)

Jetzt brauche ich ganz dringend Rat von Eltern, deren Erstklässler (oder auch älter) eine diagnostizierte Rechenschwäche haben oder die beruflich damit zu tun haben.

Ich gebe seit November wieder Nachhilfe und habe einen Schüler, bei dem ich allmählich vermute, dass so etwas vorliegen könnte. Da ich jedoch eigentlich ein Lehramt für weiterführende Schulen studiere, kann ich nur schwer abschätzen, wie "normal" die Auffälligkeiten für das Alter vielleicht doch sind. Nach dem, was ich bisher zu dem Thema gelesen habe, passt ganz viel auf eine Rechenschwäche...
Folgende Probleme treten auf:

- der Schüler schreibt manche Zahlen (3,6,9 aber auch 2) manchmal spiegelverkehrt
- generell schreibt er die Zahlen "falsch", also setzt falsch an beim Schreiben, Schreibübungen haben nicht geholfen
- er verwechselt immer wieder plus und minus (7-2=9), vergisst Rechenzeichen zu schreiben und fragte immer wieder, bei welcher Operation er "mehr/weniger machen" muss
- über den Zehnerraum kommt er gar nicht hinaus
- auf die Frage, was im Unterricht gemacht wurde, kann er meist nicht antworten
- beim Rechnen rät er, er kann nur schwer rückwärts zählen
- analoge Aufgaben begreift er nicht, selbst wenn ich sie daneben stehen lasse, d.h. er rechnet 6-2=4 und fängt bei 6-4= ? wieder von vorne an
- er braucht sehr lange zum "Rechnen", ohne Finger oder Rechenstäbchen geht nichts oder er verzählt sich immer um 1
- er begreift auch nicht, dass er, wenn er 5+1 rechnet nur eins weiterzählen muss von 6 aus um die Aufgabe 5+2 zu lösen, also die Relationen scheinen völlig zu fehlen
- generell scheint das Üben gar nicht zu helfen, wir fangen jede Woche wieder von vorne an
- er ist verhaltensauffällig, extrem zappelig, versucht mich und sich selbst abzulenken und lacht die ganze Zeit über seine Fehler
- noch bevor er etwas gerechnet hat, kommt jedes Mal "Ich kann das nicht, kannst du das für mich machen?"

Seine Eltern sind in unser Nachhilfeinstitut gekommen, weil sie mit dem Üben zuhause gar nicht mehr klar kamen. Gestern sagte mir sein Vater, dass die Mathelehrerin sich beschwert habe, der Junge könne gar nicht rechnen.
Auch beim Lesen hat er Schwierigkeiten, aber da ist dennoch ein Fortschritt erkennbar, auch wenn der mühsam erkämpft wird.

Ich weiß im Moment nicht so wirklich, was ich machen soll. Wie gesagt, ich kann nicht einschätzen, welche Fehler für einen Erstklässler (er ist im September eingeschult worden, seit Mitte November kommt er zu mir) normal sind. Vielleicht braucht er ja auch nur länger? Ich möchte nur auch nicht zu lange warten, um mit den Eltern zu sprechen, denn eine professionelle Überprüfung oder gar Lerntherapie kann ich nicht bieten, wenn tatsächlich etwas vorliegt und dann gehört er in andere Hände. Ich habe im Moment nur das Wissen über die Problematik, das ich mir angelesen habe.   :(

Also, was könnt ihr mir denn erzählen oder raten?
Liebe Grüße, Anne

dragoness

Zahlen spiegelverkehrt bzw. Zahlen von unten nach oben schreiben ist in der ersten Klasse nicht ungewöhnlich. Plus und Minus vertauschen und gleiche Aufgaben nebeneinander nicht rechnen können würde ich auch eher als Schusseligkeit abtun. Mit den Fingern oder Stäbchen rechnen ist in der 1. Klasse auch vollkommen legitim und auch das bei man manchmal bei 5+1 nicht einfach weiterzählt sondern rechnet. Antworten auf was im Unterricht gemacht wurde würde ich auch als eher normal deuten.

Alles andere kann auf Schwierigkeiten hindeuten. Für einen Erstklässer finde ich das alles hmmm recht normal, allerdings eben am unteren Durchschnitt. Manche sind halt fixer, manche brauchen etwas länger. Vielleicht hat Dein Schüler auch einfach Probleme mit der Konzentration und die wirken sich so aus. Hast Du mal die Eltern darauf angesprochen?


Anne

Hallo dragoness und danke für die erste Einschätzung.

Ja, so geht mir das eben auch durch den Kopf: vielleicht ist er einfach nur sehr, sehr langsam...  :-\
Laut seinen Eltern ist er sehr lebhaft und das kann ich bestätigen, aber er kann sich konzentrieren (wenn auch nicht so lang). Aber sie haben das Üben mit ihm aufgegeben, weil er sich sperrt oder weint und der Vater wohl nicht die Geduld hat, wenn es sehr lange dauert. Deshalb kamen sie ja zu uns. Allerdings sind sie sehr liebevoll zu ihm (zumindest nach dem, was ich beobachten kann).

Er kann die Zahlen auch so gar nicht nach der Größe ordnen bzw. er versteht nicht, dass die Zahl größer wird, wenn man 1 addiert oder das 5 nicht größer ist als 9. Die Begriffe "vorwärts" und "rückwärts" verwechselt er beim Zählen auch immer, ebenso "oben" und "unten" bei der Rechenpyramide. Heute sollte er 3 - 2 rechnen und wollte dann eben "rückwärts" zählen, er zählte aber immer wieder sehr konzentriert "3, 6, 7", sodass 7 dann trotz Hilfestellungen sein Ergebnis war und er schien gar nicht zu begreifen, was grad schief läuft. Die Zahlen dazwischen "vergisst" er auch immer oder "weiß nicht mehr wie sie heißen".

Er zählt auch sehr eigenwillig mit den Fingern. Er sollte 10 - 2 rechnen, nahm also zehn Finger und zog an jeder Hand zwei ein, sodass 6 herauskam. Als ich sagt, er solle nur an einer der beiden Hände zwei Finger wegnehmen, da sonst vier insgesamt fehlten, war das Ergebnis 3 und er hat gar nicht verstanden, dass er jetzt nur die fünf Finger einer Hand zum Zählen genommen hat. Erklärungen meinerseits und Ermutigungen noch einmal nachzuzählen wie viele Finger er jetzt hochhält, führten zu keinem richtigen Ergebnis. Am Ende habe ich mich vor ihn gekniet und die Finger an seinen Händen langsam vorgezählt.
Wenn man ihn fragt, wie viele Finger an einer Hand sind, muss er auch das abzählen.  :-\
Anfangs habe ich ihm Rechenstäbchen gegeben, aber da hatten wir dieselbe Problematik wie jetzt mit den Fingern - er zählte immer die falsche Menge Stäbchen ab, schon bei der ersten Zahl.

Ich weiß auch nicht so wirklich weiter... hat noch jemand Erfahrungen oder Fachwissen, dass meine Vermutung unterstützen oder bremsen kann? Ich habe wirklich keine Ahnung, was für einen Erstklässler legitim ist und wie lange solche Probleme als normal zu betrachten sind. Eine echte Rechenschwäche verwächst sich ja nicht, sondern wird nur weitergeschleppt und das macht mir schon ein bisschen Bauchweh.  :-[


dragoness

Vielleicht kannst Du den Eltern raten Spiele zu kaufen, die das Zählen bis 10 bzw. 20 fördern. Wir hatten Zahlen Zauber von Ravensburger, aber es gibt auch unzählige von Haba und anderen Firmen. So übt er aber eben spielerisch und sperrt er sich dann nicht so dagegen, als wenn die Eltern mit ihm üben wollen.

Wichtig wäre eben, dass er sich alles verdeutlichen kann. Vielleicht mit Spieläpfeln zählen. Wenn du ihm vor Augen hältst, dass er z. B. Äpfel aufisst, müsste ihm eigentlich klar werden, dass sie weniger werden und nicht mehr aber das muss er dann wirklich üben. Wenn es so gravierend ist müsste das eigentlich schon im Kindergarten und bei der Schuluntersuchung aufgefallen sein, da müssten die Eltern ja eigentlich Informationen bekommen haben.

Anders

#4
 :)

scarlet_rose

#5
Hmmm...nimm es mir bitte, bitte nicht böse aber ich frage mich ganz ernsthaft, ob jemand, der keinerlei Einblick und Einschätzung über das, was ein Erstklässler können muss oder nicht, wirklich NACHHILFE bei eine Erstklässler geben sollte  :-[
Wie willst du das leisten? Wie willst du einem Kind Maßstabgerechte Nachhilfe geben, wenn du den Maßstab nicht einmal kennst?

Das dürfte ein seriöses Nachhilfeinstitut gar nicht bieten  :-[ :-X


So, zu dem Jungen: es kann viel, muss aber nicht. Vieles davon ist normal, eigentlich fast alles, es kommt Angeber auf die Ausprägung an.
Etwas ist normal, immer und wenn es gar nicht anders geht, kann da schon etwas dahinter sein.
Ich würde die Eltern darauf hinweisen, sich noch einmal mit der Lehrerin zusammen zu setzen und eine genauere Info einzuholen.
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Linchen81

Zitat von: dragoness am 21. Januar 2015, 20:00:32
Wenn es so gravierend ist müsste das eigentlich schon im Kindergarten und bei der Schuluntersuchung aufgefallen sein, da müssten die Eltern ja eigentlich Informationen bekommen haben.

Da hatte ich letztes Jahr einen Fall, da ist ein Kind (mir unbegreiflich) nirgendwo aufgefallen und hatte sehr große (teilweise ähnliche) Schwierigkeiten.
Es entwickelte dann sogar Schulangst. Sowohl Mutter als auch Kind waren sehr erleichtert, als sie sich dann trauten an einer Förderschule zu schnuppern und merkten, dass plötzlich sehr viel Druck von beiden abfiel und das Kind endlich mal etwas verstand und mithalten konnte.
Im Kiga hat ist nichts bemerkt worden, somit kamen die ganzen Schwierigkeiten für die Eltern auch sehr plötzlich.

peter

scarlett muss ich mich anschliessen und finde es sehr seltsam wie man nachhilfe geben kann un gar nicht weiss was gekonnt werden muss  :-\

mein kind viel im kiga auf weil es zahlenmengen nicht erfassen und einschätzen konnte-mehr nicht...spiele in die richtung verweigert sie komplett-ist ja anstrengend und unangenehm  :P

eine echte dyskalkulie konnte man (aussage schulpsychologe und ergo) frühestens 2te klasse testen....

bis dahin galt sie als "langsam" .....
ergotherapie hat ihr zumindest soweit geholfen das sie wenigstens die zahlen an und für sich begriff ....

Anne

@dragoness: Das mit den Spielen ist eine gute Idee! Das werde ich nächste Woche mal weitergeben an die Eltern, danke!  :)

Ich mache mit ihm ganz viel Bildhaftes, das Äpfel- und Bonbonbeispiel haben wir immer oder eben die Finger und Stäbchen oder Formen wegstreichen. Wenn da was weggenommen wird, sieht er das auch. Aber er "sieht" es nur, bei der nächsten Aufgabe ist es wieder nicht klar... vielleicht mal echte Äpfel mitbringen und es mit "allen Sinnen" versuchen? So erreicht es ihn eventuell besser und bleibt haften, weil er das Rechnen dann mit dem Äpfelessen assoziiert.

@KardaMom: Da sind ganz viele richtig gute Anregungen für mich drin! Vielen Dank. Ich werde mal Einiges davon umsetzen und noch ein bisschen beobachten, ob sich etwas verändert. Die kurze Schulzeit kam mir eben auch entschärfend vor, aber dadurch, dass so gar kein Fortschritt erkennbar und grundlagentechnisch nicht viel vorhanden ist, fand ich es auffällig.
Die Eltern sind da wirklich hinterher und sehr kooperativ, bisher habe ich diese Vermutung mangels Erfahrung nicht ausgesprochen und werde damit auch noch warten.

@scarlet_rose: da hast du ja auch völlig recht, ich kann das so nicht leisten. ich weiß natürlich, was "laut Lehrplan" gekonnt werden soll und stimme meine Stunden individuell ab, es geht mir ja hier darum, dass ich nicht einschätzen kann, wie gravierend die Fehler für das Alter und den Wissensstand sind, ob es in der Häufung und Ausprägung über den Zeitraum noch als normal zu werten ist oder Handlunsbedarf besteht. Da fehlt mir die Erfahrung und deshalb versuche ich gerade mich an dieser Stelle weiterzubilden und durch Erfahrungsaustausch einen passenden Unterricht anbieten zu können um Defizite zu beseitigen. Oder eben im Fall eines Falles in fachmännische Hände abzugeben.

Das Problem mit der Lehrerin ist, dass sie sich bisher wenig engagiert gezeigt hat und wohl eher gereizt auf den Schüler und die Problematik reagiert (nach Aussage des Vaters). Ich werde mal erfragen, ob die Eltern sich von ihr eine Einschätzung der Situation geben lassen können, die über "Der kann ja gar nichts rechnen!" hinausgeht.  :-\


@satti: ich sagte doch gar nicht, dass ich nicht weiß was gekonnt werden muss? Ich bin mit der Einschätzung der Fehler überfordert und habe mich immer auf diese (mit Hinblick auf die Häufung und Dauer) bezogen, also "was ist hier noch als normal zu betrachten?"
Die Meinungen, ab welchem Alter bzw. Klasse man nach einer Rechenschwäche schauen sollte, gehen auch so weit auseinander. Manche sagen, in der ersten Klasse kann man davon noch gar nicht sprechen, andere sagen so früh wie möglich testen lassen, um den Rückstand so klein wie möglich zu halten.  :-[

Danke für die Antworten!

hallihallo

Ich finde es jedenfalls durchaus positiv, das du dir soviele Gedanken um deinen Nachhilfeschüler machst!
Das würde man sich von seiner normalen Lehrerin wohl auch wünschen  ;)

Balu

Hmm, mein Jüngster ist gerade in der 1.Klasse und ich finde es schon sehr wenig was der Junge kann. Die von dir geschilderten Rechenaufgaben könnte er ohne Probleme lösen.

Ich arbeite als Ausbilderin (Gartenbau) in einer Förderstätte für Jugendliche mit Lernbehinderung.  Ich bin natürlich keine Fachfrau in dem Thema Förderung, aber bevor sich so viele grundsätzlichen Probleme anhäufen in Kombination mit einem Aufmerksamkeitsdefizit lass bitte Fachleute drauf schauen. Es sind ja schon viele Möglichkeiten genannt worden.

Meine Teilnehmer kommen alle von der Förderschule und wenn ihm diese Schulform hilft ist das doch Ok. Auch auf diesem Weg kann er einen Hauptschulabschluss machen.
Besser als Schulfrust, der dann irgendwann zur Schulverweigerung führt. Der arme Knirps merkt ja jetzt schon, wie er zu kämpfen hat.

minimuck

 :-\ für mich klingt das nach "möglicherweise (deutlich) mehr als eine Dyskalkulie".  :-\

Jen❤L❤L


Für mich stellt sich auch noch die Frage wie alt ist das Kind denn ?

Meine Tochter ist mit 5 eingeschult worden also sehr jung und hatte ähnliche Probleme. Das Verständnis für Zahlen fehlte ihr noch total.

Ich finde für 4 Monate Schule klingt das für mich nicht schlimm.

Meine Kleine hat dann Ergotherapie bekommen ( weil klar mit 5 auch noch ziemlich zappelig) .


Aury

Also ich war letztens auf einem Seminar Hausaufgaben-Betreuung geführt von einer Spezialistin und die hat was von Rechenweg etc erzählt. Das wär die Basis, das macht sie auch mit 3. oder 4. Klässlern und die haben danach super gerechnet. Ich würde es damit mal probieren.