Konfirmationsfahrt nach Bergen-Belsen

Begonnen von Stefanie R., 29. Juli 2014, 12:53:17

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Stefanie R.

Hallo, zusammen,

ich habe mich heute hier angemeldet (ach, hallo erstmal, ich bin neu hier!  ;) ), weil ich mit einer Entscheidung nicht weiter komme; vielleicht könnt Ihr mir helfen:

Meine Tochter ist 12 1/2 Jahre alt. Sie kommt jetzt nach den Sommerferien in die 8. Klasse. Da alle Kinder ab Klasse 7 hier in der Region mit dem Konfiunterricht anfangen und dann 2 Jahre lang eben diesen haben, ist jetzt auch meine Tochter dabei und wird mit 13 Jahren konfirmiert - übrigens auf eigenen Wunsch.

Im Konfiunterricht wurde nun mitgeteilt, dass die 1. Konfifahrt jetzt im September das Thema "Auf den Sturen der Anne Frank" führt. Die Fahrt startet an einem Freitag Nachmittag und endet am Sonntag Mittag. Bis hierhin also alles ok.

Nun wurde uns im Elternabend mitgeteilt, dass ein Besuch des KZ Bergen-Belsen ebenfalls auf dem Programm dieser Fahrt steht. Und ab hier bekomme ich Bauchschmerzen...  :-[

Meine Tochter ist emotional sehr bauchgesteuert. Sie hasst Ungerechtigkeit und ist bei emotionalen Themen nah am Wasser gebaut. Wenn bei Filmen irgendwas "Schreckliches" passiert (wobei wir bewusst keine Filme schauen, die nicht für ihr Alter geeignet sind, also bitte nicht denken, wir schauen Horrorstreifen oder 16 + in ihrer Gegenwart!), dann geht sie aus dem Raum, weil sie weiß, dass sie das nicht ab kann - also eigentlich ein recht schlaues Mädel  ;) ...

Dieses Mädel hat aber leider weder im Deutsch- noch im Geschichtsunterricht jemals das Thema "II. Weltkrieg" oder "Nazidiktatur" behandelt. Nicht eine einzige Stunde!
Im Konfiunterricht wurde ebenfalls das Thema noch nicht eine Minute besprochen.
Und jetzt soll dieses Kind ohne Vorbereitung nach Bergen Belsen????????????  :o :o :o :o :o :o :o :o

Ich möchte betonen, dass ich es super wichtig finde, dass die Kinder diesen Teil unserer Geschichte erfahren und sich damit auseinander setzen. Ich finde auch, dass das Alter das Richtige ist, um damit anzufangen. Aber hier geht es darum, dass OHNE Vorbereitung, lediglich 1 Tag (Freitag Abend, Samstag Vormittag) genutzt wird, um mit den Kindern darüber in christlicher Weise zu reden. Und dann gleich rein in die Gedenkstätte mit all den Fotos und Mahnmalen und Videos?

Ich weiß, dass Bergen Belsen kein Vernichtungslager war, aber trotzdem sind dort Dinge zu sehen, die einer seelischen Vorbereitung bedürfen ... oder sehe ich das zu eng?  :-\

Nachdem ich (als fast einzige der Eltern...  ??? ) interveniert habe und meine Zweifel an dieser Aktion anmeldete, wurde festgehalten, dass sie ja nicht mitkommen müsse, also sie darf mitfahren, aber muss halt nicht mit ins KZ. Als ich meine Tochter darauf ansprach, hat sie - in ihrer Naivität und Unwissenheit - gesagt, sie möchte gern mit in die Gedenkstätte und würde dann raus gehen, wenn es ihr zu viel würde.

Und jetzt bin ich hin und her gerissen. Daher meine Frage an Euch:

1. Findet Ihr es gut, dass 12-13 Jährige OHNE DETAILLIERTE VORBEREITUNG so einen Ausflug machen?

2. Wie würdet Ihr euer Kind darauf vorbereiten? Ich möchte das nämlich gern tun - so geht sie mir nicht auf diese Konfifahrt! Aber, ich kann ihr doch nicht einfach das Tagebuch der Anne Frank in die Hand drücken und sagen "Lies mal, und bei Fragen sprich mich an...-"?!  ???

Also, wie würdet Ihr vorgehen, um sie vorzubereiten? Denn, mitfahren will sie unbedingt (auch, wenn ich gar nichts davon halte!).

Viele Grüße

Stefanie

Scheckpony

Hm, ich denke schon, dass das für ein 12 jähriges Kind zu schaffen ist. Aber nicht ohne Vorbereitung, da gebe ich dir recht.

Ich würde mich mal mit ihr hinsetzen und sie erstmal fragen, was sie eigentlich übers Dritte Reich so weiß. Eventuell ist da doch schon mehr Vorwissen, als du vermutest. Und dann würde ich die vorhandenen Lücken füllen. Und zwar ehrlich, also auch sagen, dass da viele viele Menshcen auf ganz grausame Art und Weise ums Leben gekommen sind. Das viele Menschen einfach weg geguckt haben. Das das Nachwirkungen bis in die heutige Zeit hat usw.

Und wenn sie gern liest, würde ich ihr noch entsprechende Bücher zu dem Thema besorgen. Muss ja nicht das Tagebuch der Anne Frank sein (fand ich mit 12 übrigens sterbenslangweilig, erst später wurde es interessant), aber es gibt auch tolle Jugendbücher, die sich genau damit beschäftigen. Spontan fällt mir "Damals war es Friedrich", "Asche fällt wie Schnee" und "Lauf, Junge, Lauf" ein, aber da gibts unzählig viele.

Wie kommt denn die Leitung des Konfirmationsunterichtes darauf, das Dritte Reich bzw. Anne Frank in den Mitelpunkt dieser Fahrt zu stellen, ohne vorher drüber zu sprechen? Vor allem, wenn doch offensichtlich kein Vorwissen da ist. Da muss man doch wenigstens mal ne kurze Einführung ins Thema geben, sonst erschließt sich das doch gar nicht... ???

Meph

warst du schonmal in bergen belsen?
Ich mehrfach, das erste mal in der 5. klasse

Die Führungen sind wirklich sehr sensibel auf die Altersstufen abgestimmt, man sieht auch nichts offensichtlich schlimmes. In erster Linie ist es eine "parklandschaft".
Barracken etc sind nichtmehr existent, es gibt eine ecke, da haben sie Fundamente gefunden.
Das Museum als solches ist auch sehr sensibel gestaltet.
Eine Zwölfjährige, gerade in einer Gruppe mit guter Begleitung, wird bestimmt mit dem Thema, wie es dort aufbereitet wird, umgehen können
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Für Dezentralität und Eigenverantwortung! https://www.youtube.com/watch?v=8zeg_R-PMAw
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Pan

Schwieriges Thema!

Ich bin natürlich auch der Meinung, dass man sich mit der Geschichte Deutschlands auseinandersetzen sollte. Aber (und in diesem Punkt treffe ich immer wieder auf Menschen, die gänzlich anderer Meinung sind) es muss meiner Meinung nach nicht an Orte geknüpft werden. Ich war in meinem Leben nie in einer KZ-Gedenkstätte und werde sie auch nie betreten. Will ich nicht. Mich nervt dieser "Tourismus" der inzwischen entstanden ist. Jeder sollte die Möglichkeit bekommen Gedenkstätten zu besuchen, aber Schülergruppen und Ähnliches zwangsweise da durchzuschleusen...das gefällt mir nicht.
Ohne angemessene Vorbereitung ist es meiner Meinung nach auch wenig hilfreich. Aber gut. Verbieten würde ich es meinem Kind natürlich nicht.
Ich würde sie fragen, was sie in der Gedenkstätte erwartet. Vielleicht hat sie ja bereits eine zutreffende Vorstellung? Vieles bekommt man ja auch nebenbei mit.
Wie Meph sagt ist Bergen-Belsen verhältnismäßig harmlos. Es gibt keine Gaskammer und da es die Meiste Zeit ein Kriegsgefangenenlager war, waren die Bedingungen auch weniger schlimm als in einem KZ, welches der Judenvernichtung diente.
Ich weiß gar nicht, ob der Friedhof und der Umladebahnhof öffentlich zugänglich sind. Das sind Orte, die bei MIR Schaudern auslösen würden. Mein Vater ist 1939 als Jugendlicher dort gewesen, bevor es weiter ins KZ ging. Aber eine 12-jährigen kann das wohl eh noch nicht alles fassen und begreift nicht die volle Tragweite.
Ich denke es ist zu schaffen. Du kannst ja vorher mal fragen, was sie schon über das Dritte Reich und Konzentrationslager weiß und gegebenenfalls ihre Lücke füllen. Wobei ich nicht zur sehr ins Detail gehen würde. Wenn es sie interessiert kann sie ja nach dem Besuch noch mehr Lesen oder Dokus schauen.
Und ich würde ihr natürlich sagen, dass sie entscheidet, wo ihre Grenze ist. Wenn sie etwas nicht sehen oder hören will, soll sie gehen. Das entscheidet sie und niemand anderes.
Mein Geschichtslehrer wollte mich in der 9. oder 10. Klasse zu einem Besuch in einem KZ zwingen. Besonders die Gaskammern wären "spannend". Ich habe mich standhaft geweigert und er war da leider richtig aufdringlich :-\ Finde ich heute noch unmöglich.
Zum Glück waren die Lehrer meiner Kinder da bisher sensibler. Meine Tochter hat letztes Jahr mit 13 in Sachsenhausen z.B. auch nur den Museumsbesuch mitgemacht und nicht die Führung durchs Lager.

Stefanie R.

Zitat von: Scheckpony am 29. Juli 2014, 14:43:30
Hm, ich denke schon, dass das für ein 12 jähriges Kind zu schaffen ist. Aber nicht ohne Vorbereitung, da gebe ich dir recht.

Ich würde mich mal mit ihr hinsetzen und sie erstmal fragen, was sie eigentlich übers Dritte Reich so weiß. Eventuell ist da doch schon mehr Vorwissen, als du vermutest.

schon gemacht. Sie weiß wirklich nicht viel, gerade mal, dass der Krieg um die 70 Jahre her ist. Den kleinen Mann mit dem Schnautzbart kennt sie vom Namen, aber die Idiologie der Partei sagt ihr gar nix. Die Verfolgung bestimmter Volksgruppen und Andersdenkender ... ebenfalls ganz rudimentär.


ZitatWie kommt denn die Leitung des Konfirmationsunterichtes darauf, das Dritte Reich bzw. Anne Frank in den Mitelpunkt dieser Fahrt zu stellen, ohne vorher drüber zu sprechen? Vor allem, wenn doch offensichtlich kein Vorwissen da ist. Da muss man doch wenigstens mal ne kurze Einführung ins Thema geben, sonst erschließt sich das doch gar nicht... ???
Genau das ist ja mein Problem. Da wurde im Vorfeld nichts abgesprochen oder mal die Eltern befragt. Die Pastorin fand das eine super Idee und hat mal gebucht....  :o

Scheckpony

Das die Eltern nicht gefragt wurde, finde ich jetzt nicht so schlimm. Es wird ja auch nicht nachgefragt, ob das Thema in der Schule behandelt werden darf. Aber ich kann mir wie gesagt nicht vorstellen, dass das Thema gar nicht vorher behandelt werden wird, denn ohne Vorwissen ist es ja für die Kinder gar nicht zu verstehen. Und das meine ich jetzt nicht mal auf der psychologischen Schiene (psychische Überforderung) sondern ganz "technisch". Ein bisschen Vorwissen brauchts da schon, um das Thema zu verstehen.

Aber prinzipiell finde ich das Thema wirklich gut und wichtig, dass die Kinder das nahe gebracht bekommen. Und ich persönlich fand es immer gut, sowas an Ort und Stelle anschaulich "begreifen" zu können, das hat sich viel mehr gebunden als die öden Texte in den Geschichtsbüchern oder der x-te Dokumentationsfilm.

Martina

In Bergen-Belsen war ich mit 14. Es war nicht schlimm, aber ich wusste auch schon viel. Ich würde sie näher drauf vorbereiten, irgendwann kommt das doch sowieso. Wenn sie so sensibel ist, dann wäre es doch eh besser, wenn es von euch kommt. Ansonsten finde ich es komisch, so einen Ausflug zu machen, ohne das Thema zu behandeln, aber na ja...
Ohne

lotte81

ich gehe nun mal davon aus, dass das ganze nicht übermorgen startet? Was spricht also dagegen dass ihr sie noch vorbereitet  :) ..ich kenne nun Bergen Belsen nicht, aber gehe mal davon aus, dass es altersgerecht sein wird...Vorbereitung ist natürlich sinnvoll, einfach auch damit sie weiss , welche Hintergründe es hat.
Ich selber bin auch nicht grad emotional hart als Kind gewesen.... Dieser Teil unserer Geschichte war aber immer präsent , weshalb ich mich auf der einen seite wundere, dass sie noch nichts weiss, andererseits, es aber auch zeitlich OK finde, mit ihr nun drüber zu reden...
Es gibt ja sogar "Kinderbücher" zum Thema.... Die habe ich im ersten Schuljahr schon allein gelesen....
Mein Opa hat auch immer viel erzählt und meine Oma auch.....
Ich denke man kann in dem Alter durchaus ans Thema ranführen ...wie weit man dabei geht und ob man eher "Sachbücher" nutzt oder "Romane" ist vielleicht typfrage?! Anne Frank ist in dem Alter doch z.b. auch eine gute Idee...ALLERDINGS sicher nicht, wenn sie nicht weiss, was sie erwartet......
Vielleicht erst mal mit Sachinfos anfangen...Also 2. Weltkrieg an sich...und dann eben, dass es neben dem eigentlichen Krieg die KZs gab ....
Ich stelle grad fest, dass Schindlers Liste im Kino lief, als ich 12 war und ich war definitiv im Kino drin......
Klar, nun sind nicht alle Menschen gleich und verkraften gleich viel.... aber ich finde es "befremdlich" wenn eine 12jährige gar nichts zu dem Thema weiss ...Sind wir so eine andere Genereation, dass das damals noch eher Thema war (ernsthafte Frage)
Wobei ich es auch nicht gut finde, dass das thema nicht vorbereitet wird! Deine Tochter wird ja nicht die einzige ohne Vorwissen sein..... Aber umso wichtiger, dass ihr als Eltern das macht. Grad wenn sie sensibel ist
03/2006 ♂️
03/2008 ♀️
10/2018 ♀️

scarlet_rose

Ich hab das Problem noch nicht so ganz entdeckt.

Das einzige Problem,das ich sehe ist,dass deine 12jährige keine Ahnung von deutscher Geschichte hat  :-\

Es geht ja nicht ohne Vorbereitung dort hin, sondern es wird davor darüber gesprochen. Wenn du das nicht für ausreichend hältst (was ich nicht denke, ich glaube man kann an einem Tag hervorragend auf so etwas vorbereiten! Es geht ja schließlich nicht um Kleinkinder, sondern um 12jährige Jugendliche), dann ist es DEINE Aufgabe die Bildung deiner Tochter in die hand zu nehmen und entsprechend vorzubereiten.
Denn, oho, Neuigkeit, Bildung ist nicht Alleinaufgabe der Schulen, sondern auch der Eltern. Bist du also der Meinung, deine Tochter braucht mehr Wissen dazu,dann bring es ihr bei.

Ich kenne besagtes KZ nicht,aber ich gehe davon aus, dass dort schon fachkompetente Kräfte vernünftige Führungen anbieten.

Filme sind da gar kein Vergleich. Mein Sohn kann mit knapp 8 noch keine Biene Maja hören, weil es zu spannend ist, geschweige denn Findet Nemo anschauen, Berichte über geschichtliche Geschehnisse jedoch kann ich gut mit ihm besprechen, da die Wirkung komplett anders ist. Es hat eine andere Bedeutung und die Emotionslage ist eine komplett andere, daher würde ich hier an deiner Stelle auch keinen vergleich ziehen.

Bücher wurden ja schon einige genannt. Aber man kann sich auch einfach hinsetzen und darüber sprechen. Wieso ein Buch in die Hand nehmen und nur bei Fragen antworten? Ich denke Bücher dienen eher der Vertiefung, als der Aufklärung.

Nutz die geplante Konfifahrt, setz dich mit ihr Abends an den Tisch, eine Schale Erdbeeren in die Mitte und schon kann das Gespräch über KZs, 3. Reich und Judenverfolgung losgehen.
Frag sie, ob sie weiß, was ein KZ ist, wieso es die gab, wieso Menschen dort hin kamen und alles, was sie nicht weiß, kann beantwortet werden.

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Sonne1978

Ich verstehe den Zusammenhang "Anne Frank" / "Konfirmations-Unterricht" nicht so ganz. Würde man jetzt Anne Frank durch Dietrich Bonhoeffer ersetzen, schon eher. Aber gut, das ist auch nicht Thema.

Grundsätzlich hätte ich kein Problem mit dem Besuch meines Kindes in einem ehem. KZ, wenn altersgerecht Zeitgeschehen wiedergegeben und gezeigt wird. Bei Deinen Sorgen kann ich auch nur zu einem Gespräch mit Deiner Tochter raten. Wenn die Gedenkstätte auch altersgerechte Führungen anbietet, so wie hier schon erzählt wurde, würde ich mir schon fast keine Gedanken mehr machen.