"Heimat" - Ort oder Gefühl?

Begonnen von Sisam, 27. August 2013, 10:34:57

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Sisam

Angeregt durch den Asyl-Thread würde ich gerne mal Eure Gedanken zum Thema "Heimat" hören - da ich mich gerade damit beschäftige. Hier gibt es ja so einige, die ihre Heimat verlassen haben, das kann ja auch eine Region in Deutschland sein ...

Warum verlassen Menschen ihre Umgebung, was geben sie auf? Wie kommen sie fern ihrer Heimat zurecht?

Was verstehen wir eigentlich unter ,,Heimat": ist sie ein Ursprungsland oder ein Gefühl? Was ist der entscheidende Punkt, der Heimat ausmacht?

Wie kann die neue Umgebung wieder zur (zweiten) Heimat werden - was brauche ich dafür?

Kann man sich neu beheimaten, ohne die alte Heimat zu vergessen / verraten? Laut Duden gibt es einen Plural: "Heimaten" - in unserem Sprachgebrauch ist mir dieses Wort nie begegnet. Führt das zu einer falschen Vorstellung von Integration?

Warum gelingt Integration manchmal fast von selbst und manchmal trotz aller Bemühungen nicht wirklich?

Ich selber bin "Ur-Schleswig-Holsteinerin", habe aber auch (mindestens) zwei Heimaten: Eine oben im Norden, die Heimat meiner Kindheit und hier, wo ich mich seit 16 Jahren beheimatet fühle, obwohl ich wohl noch lange eine "Zugereiste" bleiben werde. ;)

früher: Sisamlimamzuri, die Unaussprechliche ;D
Wer den Kopf in den Sand steckt, hat schlechte Aussichten ;)

Flower Eight Revival

#1
 :)

Sisam

Zitat von: blume8 am 27. August 2013, 10:36:14
Für mich ist "Heimat" einfach nur ein Gefühl.
Heimat ist da, wo ich glücklich bin. Heute ist es hier, ...
Kannst du irgendwie benennen, was es ausmacht, dass Du dich heute, hier beheimatet fühlst? (Trotz sehr ausgrenzender Erfahrungen, die Du ja auch gemacht hast.)
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Flower Eight Revival

#3
 :)

jewa

Ich würde irgendwie sagen: sowohl als auch.
Früher (als ich noch in der Heimat war), war es der Ort meiner Kindheit.
Heute fühl ich mich auch schon "frei", wenn ich in die Nähe komme, also nimmer nur der Ort, eher so Landkreis oder Bundesland.

Wie es am Anfang hier so "schlimm" war, hab ich mich manchmal ins Auto gesetzt und bin die paar km über die Grenze gefahren und hab mich, obwohl immer noch 100 km von "Heimat" entfernt einfach besser gefühlt.

Ich denke aber, es macht einen ganz großen Unterschied, ob man einfach nur wegzieht und zurück kann, oder eben nicht.

Meine Oma hat mir mal aus ihrer Jugend erzählt, wie sie Opa kennen gelernt hat und wie sie dann ohne Opa nur mit kleinem Sohn wegen des 2. Weltkrieges flüchten mussten (ungewisse Zukunft und so) und das ist einfach was ganz anderes als mein "Heimweh".

Bei meinen Großeltern hang in der Küche ein Schild:

"Vergiss nie die Heimat, wo deine Wiege stand, du findest in der Ferne kein zweites Heimatland."

Ich hab "Abhilfe" geschaffen, in dem ich eine alte Heimat und eben eine neue Heimat habe. Aber ich hab ja auch leicht reden, im Notfall setz ich mich ins Auto und fahr einfach mal in die alte Heimat.
Heute definiere ich es so: Heimat ist da, wo mein Herz glücklich ist.
Und so lange ich meine Familie hab kann das auch an unterschiedlichen Orten sein.  :)
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Das Leben wäre viel einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte.
Es wäre nur nicht mein Leben.

mausebause

Zitat von: blume8 am 27. August 2013, 10:36:14
Für mich ist "Heimat" einfach nur ein Gefühl.
Heimat ist da, wo ich glücklich bin. Heute ist es hier, morgen kann es woanders sein.  :) Ich bin sehr flexibel. Ich nehme einfach meine schönen Erinnerungen mit und freue mich auf das Neue. Ist ganz einfach. :)

So sehe ich das auch..

Ich bin zwar noch nie von einem Land ins nächste ausgewandert, aber innerhalb Deutschlands mehrfach umgezogen und ich bin nicht ortsgebunden - ich habe kein "hier geh ich nie wieder weg" Gefühl - es gibt Gegenden wo ich sage "hier könnte ich mich wohlfühlen" oder eben auch nicht - aber wichtig ist, dass ich meine Kinder, den Mann um mich habe - und dann noch Leute mit denen ich mich gut verstehen kann..

Sammylein

Für mich ist Heimat eher ein Ort, bzw. eine Region, nämlich da, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Ich würde da niemals nicht mehr wohnen wollen, aber ich bin da daheim.

Ich hab das auch gemerkt, dass ich total in Bayern verwurzelt bin. Ich hab auch schon drei Jahre in NRW gelebt, aber da hab ich mich nie zu Hause gefühlt, was auch viel an der Mentalität der Menschen lag.
Wenn ich "nach Hause" gefahren bin, musste ich immer zwei Tränen verdrücken, als ich an der Autobahn am "Hopfenland Hallertau"-Schild vorbeigefahren bin.

Das heißt nicht, dass ich alles hier gut finde, aber alles ist vertraut. Ich stell mich nicht schnell auf Neues ein.

Flower Eight Revival

#7
 :)

redheart

"Nur" ein Gefühl, aber garantiert nicht ortsbezogen :)

Brains are wonderful, I wish everyone had one.

Meph

http://www.youtube.com/watch?v=trzsD-Dyi80

hätte ich keine Familie würd ich wohl heute noch "reisen"

Heimat ist dort wo ich angekommen bin....
überall wo ich war ist ein kleines stück heimat "geblieben"
Meine Heimat trag ich aber eigentlich in mir...
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Für Dezentralität und Eigenverantwortung! https://www.youtube.com/watch?v=8zeg_R-PMAw
1DfyhRV3c7nRGPQuF4PdMkhJYtqE3BmSzW

teddybaer

#10
*

Tini

Ein sehr interessantes Thema, aber auch eine sehr schwierige Frage.

Ich bin in Hessen aufgewachsen, mein Papa kommt aus Bochum, meine Mutter aus Hamburg. In Hamburg waren mein Bruder und ich als Kinder sehr oft bei meinen Großeltern, fast jede Ferien, als wir kleiner waren. Hamburg ist für mich bis heute eine Art Sehnsuchtsort, weil ich bisher nicht dort leben konnte, aber auch eine Heimat. Es ist für mich auch kein Zufall, dass ich ausgerechnet hier im Saarland meinen Freund kennengelernt habe, der aus Norddeutschland stammt und der lange in Hamburg gelebt hat und dies auch als seine Heimat ansieht.

Meine Heimat, wenn man mal von einem Ort ausgeht, ist Frankfurt und auch ein bisschen der Ort in der Nähe von Frankfurt, in dem ich aufgewachsen bin. Auch wenn ich lange weg bin und sich einiges verändert, es ist immer noch der Ort, an dem ich mich heimisch fühle und an den ich immer gerne zurückkehre.

Nun lebe ich schon seit Jahren im Saarland und dennoch ist dies nie eine Heimat geworden. Ich bin nie richtig angekommen, vielleicht bin ich da auch selber teilweise schuld, kann sein, aber es ist einfach ein Ort, der mir innerlich fremd geblieben ist.

Meine Herzensheimat ist meine Tochter und mein Freund. Egal, wo wir gemeinsam sind, ich fühle mich wohl und habe das Gefühl, alles ist gut, mir kann nichts passieren. Und das ist eigentlich für mich das schönste Heimatgefühl.
She *7/2006
He   *7/2014

Honey

Ich unterscheide in meiner Gefühlswelt "Heimat" & "Zuhause".
Meine Heimat wird für immer die Region bleiben, in der ich aufgewachsen bin. Immer. Ich spüre das auch ganz deutlich, wenn ich heutzutage zu Besuch dort bin. Sobald ich die Gegend betrete / befahre, spüre ich es.
Zuhause hatte ich schon ein paar und da fühle ich mich immer geborgen. Wo mein Mann und unsere Kinder sind und unsere tausende, vertraute Kleinigkeiten, die man so mit sich bringt.
Als wir z. B. in Montana lebten, hat es lange gedauert, bis ich an Ort und Umgebung Schönes fand. Aber in unserem Zuhause, fühlte ich mich von Tag 1 an geborgen und "daheim".
Mein Mann sieht es ähnlich, wobei er nicht einen einzigen Heimatort hat, sondern wirklich mehrere Heimaten, weil er als Kind viele Jahre hier und viele Jahre dort gelebt hat.
~ The Love Inside You Take It With You. Swayze & Family Comes First. Sandler ~
 

~ Wir machen uns die Welt, widdewidde wie sie uns gefällt ~

Sisam

Zitat von: blume8 am 27. August 2013, 10:49:29
Hier in D war ich nicht willkommen, in meiner alten Heimat war ich ebenfalls plötzlich eine Fremde.

Ich denke da z.B. an die Russland-Deutschen, die sich in ihrer Zeit in Russland immer nach der Heimat Deutschland gesehnt haben und wenn sie in Deutschland angekommen sind, ist alles fremd und sie sehnen sich nach Russland. Sie sind auf der Suche nach etwas, aber es wird durch den Begriff "Heimat" so schlecht zu greifen. :-\

Wie kann man diesen Begriff greifen( ;)), könnte es eine "Willkommenskultur" geben, die effektiver ist als Begegnungstreffs, umfassender als die Begleitung bei Behördengängen, wie können sprachliche Barrieren außer durch Deutschkurse noch überwunden werden?
All solche Fragen treiben mich um.
früher: Sisamlimamzuri, die Unaussprechliche ;D
Wer den Kopf in den Sand steckt, hat schlechte Aussichten ;)

Svenja2411

#14
...........

shiri

Mir geht es wie Jen.
Heimat ist da wo ich geboren und aufgewachsen bin, das wird es immer sein , mit allen Erinnerungen, Gefühlen,...
Zuhause ist, wo mein Herz ist, meine Liebe, meine Familie, wo ich mich wohl und geborgen fühle.
Den Platz musste ich erst finden. Das hat locker 10 Umzüge gebraucht, aber jetzt bin ich angekommen.

Janny

Meine Heimat ist der Ort in dem ich aufgewachsen bin , in dem meine fast gesamte Familie wohnt . Ich wohne jetzt nur 4 km davon entfernt im Nachbarort und fühle mich hier nicht daheim . Wir suchen nun auch eine Möglichkeit wieder zurückzuziehen . Ich möchte wieder " nach Hause "
Ich bin mir sicher wie noch nie , ich hab den Weg verstanden !

by P.B.

Bettina

Für mich ganz klar ...... beides  ;).

Die Stadt, wo ich aufgewachsen bin, wo ich jedes Eckchen kannte, wo ich geboren bin, gelebt habe, meine Freunde hatte, das ist meine Heimat. Ob ich da glücklich zurück schaue oder nicht, also das Gefühl, ist da erstmal außen vor. Ich bin sehr froh, dass ich glücklich zurück schauen kann.

Das wird auch immer meine Heimat bleiben.

Das Gefühl Heimat, das ist in mir drin. Ruhe, angekommen sein, zufrieden sein, mit den Menschen, die ich liebe. Das ist auch das Stück Heimat, das ich überall mit hin nehme, bei mir trage. Wenn ich zurück schaue auf den Ort "Heimat", dann ist das dasselbe Gefühl.

Hier, wo wir jetzt leben ist mein Zuhause. Ich fühle mich unendlich wohl hier, mag die Menschen um mich herum, liebe die Natur und insgesamt fühle ich mich hier wirklich angekommen, Zuhause .... heimatlich. Es ist nicht meine Heimat, aber hier ist es unglaublich leicht, das Gefühl "Heimat" zu leben  :).

4+1 x Glück: 02/1998; 09/1998; 07/2006; 09/2008; 08/2011

Ann Kathrin Klaasen:"Ich hatte schon Freunde, da gab´s noch gar kein Facebook." Wolf:Ostfriesen-Feuer

Sweety

Ich finde den inneren Heimatbegriff so individuell, dass man es gar nicht festmachen kann. Zumindest nicht allgemeingültig. Für den einen ist es dies, für den anderen das.

Zuhause ist, wo ich mich wohlfühle. Das ist der Ort, an dem sich Mann, Kinder und Bücherregale befinden.

Für mich ist Heimat die Herkunft. Da gibt es für mich nicht wirklich einen Ort, da wir sehr unruhig und unstet gelebt haben früher. Am ehesten wäre es Braunschweig. Dort begann das, was ich als mein eigentliches Leben bezeichne. Also ja, obwohl ich "erst" mit 23 dahin gekommen bin, ist das wohl punktuell meine Heimat.
Geht man danach, zu welchem Ort ich mich zugehörig fühle, so lautet die Antwort: Europa. Ich seh mich weniger als Deutsche denn als Europäerin; das aber mit Leib und Seele. Ich liebe diesen streitsüchtigen, kultivierten, kleinen, alten Kontinent innig und egal, wo es uns hinverschlagen würde, ich würde hoffen, dass wir am Ende wieder nach Europa zurückkehren... egal in welches Land.

Wohlfühlen könnte ich mich aber überall, egal ob mit Familie oder alleine.

Was könnte mich dazu bringen, meine Heimat aufzugeben? Naja, das ist nicht so meine Thematik, weil ich bei allem, was nicht Mann und Kinder betrifft, recht bindungslos bin. Ich lasse Dinge, Orte und sogar Menschen hinter mir, ohne mir eine schlaflose Nacht darüber zu machen.
Neben Gründen wie Not, Hunger, Vertreibung (gut, ist jetzt nicht so das wahrscheinlichste, dass mich das mitten in Niedersachsen ereilt ;) ) wären da also auch noch bessere Chancen auf Arbeit, schöneres Wetter oder einfach Lust auf was Neues für mich gute und solide Gründe, alles hinzuschmeißen und woanders hinzugehen. Ohne einen Blick zurück, aber mit einem Koffer voller Erinnerungen.



~ Oma Netti ~

#19
Da, wo ich aufgewachsen bin ... nein, das ist nicht mehr meine Heimat. Nie könnte ich dort je wieder leben. Aber das liegt auch daran, dass es die Heimat, wie sie mal war, natürlich nicht mehr gibt, weil es die DDR nicht mehr gibt.
Und da, im Süden, wo wir nach der Ausreise gelandet sind? Nee, niemals im Leben hätte das meine Heimat werden können. Nicht mal nach 15 Jahren dort hab ich sowas wie ein Heimatgefühl gehabt und dachte eigentlich immer nur daran, dass ich dort nicht bis an mein Lebensende leben möchte. Ich war dort auch schon seit mehreren Jahren nicht mehr, mich zieht da einfach nix hin. Wohingegen ich gerne mal wieder in den Osten reisen würde ....
Naja, auf jeden Fall, ich schweife ab .... ich lebe nun schon 14 Jahre in Norddeutschland und hier bin ich einfach angekommen. Ich liebe es dermaßen hier zu leben, dass ich definitiv sage hier ist meine Heimat und wird es auch immer bleiben.  :) Von mir also: Heimat muss nicht der Ort sein, an dem man aufgewachsen ist.

Sonne1978

Für mich ist Heimat eine Region zu der ich tiefe Gefühle habe. Ich bin im hohen Norden geboren, habe dort die erste 8 Jahre meines Lebens verbracht, aber den für mich schönsten Teil meiner Kindheit hatte ich in Südbayern. Mit Bergen, mit Seen, naturverbunden, mit vielen Kindern, frei, restlos glücklich. Das waren "nur" 5 Jahre, aber die haben mein Heimatgefühl geprägt. Mein Herz geht auf, wenn ich heute meine Eltern im Allgäu besuche. Sobald ich von der Autobahn aus die ersten Berge sehen kann, die ersten Kühe, Bauernhöfe - ich könnte auf der Stelle anfangen zu heulen, weil ich diese kitschige Bergromantik so liebe.

Wir ziehen in ein paar Monaten zurück nach NRW. Dort ist es auch schön, aber ich weiss, dass die Region mir niemals geben kann, was ich in Bayern habe. Sicher werde ich neue Kontakte knüpfen, alte wieder aufleben lassen und mich Zuhause fühlen. Aber die Sehnsucht ist halt trotzdem da :-)


~ Oma Netti ~

Was könnte mich dazu bringen, meine Heimat aufzugeben? Nur große Not. Krieg. Hunger. Sowas. Ansonsten würde ich meine Heimat niemals aufgeben. Auch nicht, wenn ich in einem anderen Land einen besseren und besser bezahlteren Job bekommen könnte.

Sisam

Danke erstmal für die Antworten. :-*

Ich weiß gar nicht, warum ich die Frage heute gestellt habe (naja, wegen dem Asyl-Thread), habe eigentlich gerade gar keine Zeit. Ich werde aber noch mal nachlesen und vielleicht auch nochmal aufgreifen. :)
früher: Sisamlimamzuri, die Unaussprechliche ;D
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Once

Für mich ist Deutschland durchaus meine Heimat. Bzw. genau genommen die Region in der ich aufgewachsen bin. Das habe ich in den Jahren des Reisens für mich ganz deutlich feststellen können.
Eine Kollegin von mir hat ihren Soziologiemagister über genau diese Thematik geschrieben. Ich bin mir nicht sicher wie der Titel war, aber sie hat genau die Problematik der Identitäts- und Heimatfindung von Flüchtlingen untersucht. Menschen die ihr Heimatland als Kinder verließen und später dorthin zurück mussten (schlicht: abgeschoben wurden). Die Konsequenz war, dass sie sowohl in Deutschland als auch in ihrem Heimatland (idR Türkei) als Ausländer stigmatisiert wurden und sich, verursacht durch diesen Konflikt, kein Zuhause- und Zugehörigkeitsgefühl einstellte. Egal wo sie sich aufhielten.